Unsere Geschichte – Immer Teil der Aktion

In: graswurzel revolution, Schwerpunktthema Oktober 2021, Nr. 462: Widerstand aus der Küche Food not Bombs & co.; Text und Interview: Silke

Immer Teil der Aktion, bei der gekocht wirdDas Aktionsküchenkollektiv Le Sabot

Die mobile Volxküche Le Sabot kocht seit 2007 biologische und vegane Gerichte bei großen Protestveranstaltungen und Demonstrationen in verschiedenen europäischen Ländern – und zwar aus einer politischen Motivation heraus. Deshalb ist sie nach nichtkommerziellen, antihierarchischen, kollektiven, solidarischen und ökologischen Grundsätzen tätig. Gemeinsam mit den Aktivist*innen von Le Sabot stellt Silke für die Graswurzelrevolution das Projekt vor. (GWR-Red.)

Wer regelmäßig an Kongressen, mehrtägigen Protesten und anderen Großveranstaltungen teilnimmt, kennt Le Sabot: Seit ihrem ersten Koch-Auftritt beim BUKO 2007 haben sie an über 170 antimilitaristischen und antirassistischen Camps, Antiglobalisierungs- und Klimaaktionstagen sowie an anarchistischen Buchmessen und Treffen international mitgewirkt und täglich oft mehrere tausend Portionen ausgegeben. Dabei arbeiten sie sehr gerne mit anderen Aktionsküchen wie den Maulwürfen und Food4Action zusammen.

Mehr als Essenszubereitung

Kochen ist für das Volxküchen-Kollektiv weit mehr als die Zubereitung von Nahrung. Das politische Selbstverständnis zeigt sich schon im Namen: „Le Sabot“ ist die französische Bezeichnung für den Holzschuh, das einzige Schuhwerk, das sich viele Arbeiter*innen früher leisten konnten. Um dem industriellen Ausbeutungsdruck etwas entgegenzusetzen, warfen sie die Holzpantinen in die laufenden Maschinen und verschafften sich so eine Pause – die Sabotage war geboren.

Le Sabot erklärt dazu in seinem deutschen Selbstverständnis: „Wir finden es richtig und wichtig, Machtstrukturen anzugreifen und sich gegen Ausbeutung zur Wehr zu setzen. Das ist auf viele Arten möglich; wir machen das, indem wir bei Treffen und Aktionen kochen. Aber wir wollen uns auch inhaltlich mit denjenigen auseinandersetzen, mit denen wir kochen, und nicht nur Infrastruktur zur Verfügung stellen.“

Ein wichtiges Grundprinzip von Le Sabot ist der ökologische Ansatz, weshalb das Kollektiv vegan und mit regionalen, möglichst fair produzierten Zutaten kocht und auch ansonsten auf die Öko-Bilanz achtet, beispielsweise durch möglichst energiesparendes Kochen, eine wassersparende Spülstraße und den Verzicht auf unnötige elektrische Geräte.

Antikapitalistisches Selbstverständnis

Ebenfalls zentral für das Selbstverständnis ist der kollektive, antihierarchische und antikapitalistische Gedanke. Der Beitrag „Te idealistisch bestaat niet“ (dt. „Zu idealistisch gibt es nicht“), der im September 2013 auf dem „Krantje Boord“ von Kritische Studenten Utrecht erschien, brachte das auf den Punkt:

„Wie kann mensch antikapitalistisch essen? Le Sabot betont immer wieder, dass es sich nicht um Gastronomie handelt. Sie sind nicht dafür verantwortlich, dass du jeden Abend einen Teller mit Essen auf dem Schoß hast – verantwortlich sind alle. Le Sabot ist eine so genannte Soliküche: Alle im Camp können beim Gemüseschneiden, Kochen oder Abwaschen helfen. Und wenn nicht genug Leute beim Kochen mithelfen, dann kann eben erst später gegessen werden.

Finanziert wird das Ganze durch freiwillige Spenden der Menschen, die mitessen. Le Sabot setzt einen Zielpreis von sieben Euro pro Tag fest, den du aber nicht einhalten musst. Wenn du mehr hast und mehr beitragen willst, kannst du das tun. Wenn du weniger oder gar nichts hast oder wenn du weniger beitragen willst, geht das auch. Normalerweise arbeitet diese Küche kostendeckend. Natürlich ist es nicht das Ziel, Gewinn zu machen. Wenn zufällig mehr Geld eingenommen als ausgegeben wird, wird der Überschuss für ein anderes politisches Projekt gespendet.“

Im Interview haben Aktivist*innen von Le Sabot einige Fragen beantwortet.

GWR: Wie seht ihr eure Rolle auf den zahlreichen Veranstaltungen, bei denen ihr kocht?

Le Sabot: Vor einigen Tagen erst habe ich mit einem Freund über die Rolle von Küchen auf Aktionscamps gesprochen. In diesem Gespräch fiel mir wieder auf, wie wichtig es ist, dass wir KEIN Catering machen. Wir sind Teil von Aktionen und Bewegung. Damit machen wir nicht nur durch Selbstorganisierung die Welt sichtbar, die wir uns vorstellen, sondern wir ermöglichen es auch Leuten, sich aktivistisch zu organisieren oder organisiert zu bleiben, auch wenn sie vielleicht nicht in der „ersten Reihe“ stehen wollen oder können. Für mich persönlich war das der Grund, mit dem Kochen anzufangen. Dadurch, dass wir alle Aktivist*innen sind und uns auch gerne, nicht nur durch Kochen, an Aktionen beteiligen, konnte ich mich dann wieder mehr an konfrontative Situationen gewöhnen.

Weil ihr so professionell und effektiv riesige Mengen an Essen zubereitet, halten euch viele für eine Art „linken Catering-Service“. Wie geht ihr damit um?

Zusätzlich zu dem, was bereits erwähnt wurde, steht Le Sabot für mich für eine Gruppe von Leuten, die immer Teil der Aktion sind, bei der gekocht wird. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Küchenkollektiv bei den Treffen der Aktionscamps vorstellen. Oft hören wir die Annahme, dass wir das Catering oder die Verpflegung gegen Bezahlung übernehmen würden. Dies ist nicht der Fall. Wir unterstützen ein Aktionscamp oder eine Organisation durch Kochen, so wie es andere Gruppen auf andere Weise tun, z. B. ein Rechtshilfeteam, ein Bauteam oder ein Hygieneteam.

Wie versucht ihr, den Wissens- und Erfahrungshierarchien zwischen den Beteiligten aktiv zu entgegenzutreten?

Der Austausch von Erfahrungen ist ein wesentlicher Bestandteil von Le Sabot. Wir versuchen immer, eine Aufgabe zu zweit zu erledigen (abwaschen, umrühren, Salat machen, Kaffee kochen, helfende Hände koordinieren …), sodass wir voneinander lernen können. Wir versuchen auch allen, die bei uns kochen wollen, zu erklären, wie die Küche funktioniert.

Zum Schluss vielleicht noch eine Anekdote, die aufschlussreich ist. Während einer Veranstaltung, bei der Le Sabot kochte, kam eine Person mehrmals in die Küche und fragte immer wieder, „wer der Chef ist“. Alle von uns sagten unabhängig voneinander und ohne den*die andere*n zu kennen, dass wir ohne Chef arbeiten würden. Der Betroffene empfand dies als lästig, weil er jeden Tag eine andere Ansprechperson hatte und eigentlich mit „dem Chef“ sprechen wollte. Ich persönlich finde es gut, dass wir versuchen, so wenig hierarchisch wie möglich zu arbeiten. Wir achten auch darauf, dass wir immer mit den Leuten, die morgens und abends kochen, den Tag besprechen.

Mit welchen Problemen seid ihr bei solchen Großveranstaltungen konfrontiert, und wie geht ihr damit um?

Für mich ist ein Problem, dass wir als zentraler Teil der Camp-Infrastruktur immer eine gewisse Machtposition haben. Bei Konflikten wird fast immer die Küche aufgefordert, sich zu positionieren. Diese Positionierung zusammen mit der Machtposition fand ich immer problematisch und kompliziert. Nicht immer haben wir das gut gelöst, aber wir sind immerhin in einem kontinuierlichem Reflexionsprozess, finde ich.

Könnt ihr ein paar Worte zu euren organisatorischen Abläufen und internen Diskussionen sagen?

Die Struktur von Le Sabot ist darauf ausgerichtet, alle Aktivitäten der Küche so transparent wie möglich zu halten. Wir haben regelmäßige Treffen mit allen Leuten von Le Sabot, die sich aktiv an der Küche beteiligen wollen. Im Jahr 2017 dachten wir bei so einem Treffen, dass wir uns die Frage „Was ist Le Sabot für dich?“ genauer ansehen sollten. Daraus ergab sich die Schlussfolgerung, dass wir als Kollektiv mehr darauf achten sollten, wie wir beispielsweise mit Hierarchien und allen Formen der Ausgrenzung, einschließlich des Patriarchats, umgehen wollen. Seit einigen Jahren arbeiten wir aktiv an diesem Thema und versuchen, neue Leute dafür zu gewinnen. Für mich war das eine sehr radikale Veränderung. Damit haben wir durchgesetzt, dass wir intern viel besser aufeinander achten und uns gegenseitig einbeziehen. Dadurch wurde uns auch unsere „Machtposition“ gegenüber anderen Aktivist*innen und gegenüber anderen Organisationen viel bewusster.

Welche Veränderungen haben sich durch die Pandemie ergeben?

Während der Covid-Monate war es schwierig, mit der Küche aktiv zu sein, aber während der letzten Ende-Gelände-Aktion im Juli 2021 in Norddeutschland wurde wieder deutlich, dass wir wirklich offen für neue Leute sind und sie direkt einbeziehen wollen, in allen Aspekten des Betriebs einer Küche. Die Tatsache, dass das Küchenkollektiv dazu in der Lage ist (trotz des Stresses, den 2.200 Aktivist*innen mit leeren Mägen bedeuten), ist für mich ein direktes Ergebnis der Beantwortung der Frage: Was ist Le Sabot für mich? Für mich ist Le Sabot eine Möglichkeit, innerhalb der linksradikalen Bewegung aktiv zu sein und gleichzeitig die Ideale einer besseren (inklusiven) Gesellschaft in die Praxis umzusetzen.

Viele Menschen aus eurem Kollektiv sind schon seit vielen Jahren regelmäßig bei Aktionen dabei, doch ihr habt auch immer wieder Wechsel. Wollt ihr dazu ein paar Worte sagen?

„Ich würde gerne überall kochen, alle Aktivist*innen treffen, die Aktionen unterstützen, unsere Ideen mit vielen Menschen teilen, mich inspirieren lassen und Anregungen geben, aber – ihr wisst, wie der Satz weitergeht – ich werde es nicht tun.“ Dieses Zitat zeigt sehr schön, was passiert, wenn sich persönliche Umstände ändern. Persönliche Umstände, die langfristig das Mitkochen erschweren, z. B. die Pflege von Angehörigen, Krankheit oder kleine Kinder. Ich nenne diese Beispiele, da es Umstände sind, die ein Leben komplett verändern können. Ich war selbst auch eine Zeitlang krank, und ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich Le Sabot vermisst habe. Während meiner Krankheit hatte ich noch viel Kontakt zu den anderen, und nachdem ich wieder gesund war, konnte ich auch wieder voll mitmachen. Aber es war schwer, nicht tun zu können, was mir wichtig ist: Kochen auf Aktionen.

Ich werde auch nie ein Gespräch vergessen, das ich vor ein paar Jahren mit jemandem aus der Küche hatte. Wir saßen zusammen auf einer Bank, und die andere Person konnte durch persönliche Umstände nicht mehr so viel kochen. Ich fragte, was ich/wir tun können. Unter Tränen bekam ich als Antwort: „Sorg dafür, dass Le Sabot bestehen bleibt.“ Und das ist das Mindeste, was wir als Gruppe tun können: Dafür sorgen, dass es die so notwendige Unterstützung für Aktionen auch in Zukunft gibt und dass Leute jederzeit (wieder) bei Le Sabot mitmachen können.

Und noch eine Frage zum Abschluss: Wie würdet ihr die Besonderheit von Le Sabot charakterisieren?

Eine Situation, die eine Vorstellung vom Küchenkollektiv vermittelt: 2012 war Le Sabot eine der internationalen Aktionsküchen, die sich aktiv am Treffen zum Gedenken an 140 Jahre Saint-Imier beteiligten. Im Jahr 1872 fand in Saint-Imier in der Schweiz die Gründung der ersten anarchistischen Internationale statt. Aus diesem Anlass haben verschiedene Schweizer Gruppen ein weiteres internationales Treffen organisiert.

Für die Aktionsküchen war dieses Treffen eine Gelegenheit, sich gegenseitig besser kennenzulernen und sich gegenseitig zu inspirieren. Bei der Auswertung dieses großen anarchistischen Treffens (es nahmen etwa 4.000 Leute teil) traten bemerkenswerte Unterschiede zwischen den Küchen zutage. Le Sabot entpuppte sich als äußerst funktionale Aktionsküche. Das zeigt sich darin, dass mensch im Handumdrehen eine Menge Essen zur Verfügung hat. Sowohl die Gestaltung der Küche als auch die Materialien (alle Töpfe mit einem Fassungsvermögen von 100 Litern und mehr) vermitteln die Atmosphäre einer ständigen Krisensituation, in der in kürzester Zeit eine große Menge an Lebensmitteln benötigt wird. Die anderen Aktionsküchen hatten ein Auge für ihre Küchendekoration (Tischdecken und ähnliches), sie achteten mehr auf Toppings und andere kleine Beilagen. Hier hat Le Sabot sicher etwas dazugelernt.

Wir bedanken uns für das Interview und wünschen euch weiterhin erfolgreiche Aktivität als Aktionsküchenkollektiv!

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  • In 2017 feierten wir unser 10 jähriges Jubiläum in Meuchefitz im Wendland mit Workshops, Kitchen Olympics und anderen Köstlichkeiten.